Die Spink-Zwillinge Tylor und Tyson (rechts) feiern mit ihren Schwenninger Teamkollegen einen Treffer.
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„Ich war verdutzt, als ich letztens auf die Powerplay-Quoten geschaut habe“, erzählt Tyson Spink. „Früher hattest du mit 21 oder 22 Prozent ein richtig gutes Überzahlspiel – dieses Jahr sind das in der DEL Durchschnittswerte.“ Der Torjäger der Schwenninger Wild Wings hat recht: Noch nie in der Geschichte der PENNY DEL waren die Clubs so effektiv im Überzahlspiel wie in dieser Saison.
Im Ligaschnitt nutzen die Teams 21 Prozent ihrer Powerplays – in manchen Spielzeiten erreichte diese Werte lediglich die beste Formation. Das Top-Powerplay der Liga stellen gerade die Grizzlys Wolfsburg. Sie sind mit einer Quote von über 30 Prozent auf Rekordkurs. Tyler Haskins befasst sich, zusammen mit Cheftrainer Mike Stewart und Co-Trainer-Kollege Gary Shuchuk, intensiv mit den Überzahlsituationen. Er erzählt: „Wir haben den interessanten Trend bemerkt. Auch in der NHL gibt es einen ähnlichen.“ Eine allgemeingültige genaue Antwort, wie es dazu kommt, könne er auch nicht geben, aber fähige Spieler, gute Vorbereitung und Regularien gehören aus seiner Sicht dazu. Eishockey NEWS analysiert in der aktuellen Print-Ausgabe, was zu der gestiegenen Quote geführt hat und warum trotzdem nicht mehr Überzahltore fallen.
Starke Spieler:
„Überzahlspiel kann eine knifflige Sache sein“, meint Haskins mit der Erfahrung aus seiner Karriere als Spieler und Trainer. „Es kommt auf die Balance aus Dringlichkeit und Geduld an: Du willst das Powerplay in seiner begrenzten Zeit ja nutzen, darfst aber auch nicht die Ruhe verlieren.“ Dass die Grizzlys diese Balance finden, dass sie hart ackernde Spieler wie Darren Archibald und Spencer Machacek in Tornähe haben, das sieht Haskins als Schlüsselmischung an. „Lob sollten die Spieler erhalten, die das als Team gut machen“, sagt der Grizzlys-Coach.
Es sei einfacher, wenn man mit „Bedrohungen überall auf dem Eis“ aufwarten kann, fügt er an. Auch andere Teams haben grundsätzlich diese Werkzeuge zur Hand, anders als Wolfsburg sogar speziell vorgesehene Scharfschützen. Ein paar Beispiele: Die Kölner Haie strahlen mit Verteidiger Nick Bailen an der blauen Linie und Stürmer Andreas Thuresson (den wohl besten Shooter auf seiner Seite) große Gefahr aus. Die Adler Mannheim sind schon allein wegen der Abschlussqualitäten von Matthias Plachta und Borna Rendulic zu fürchten. Auch die Schwenninger Wild Wings haben eine starke Top-Einheit – Tyson Spink hat bereits neun Powerplay-Treffer erzielt.
„Powerplay ist keine leichte Sache, aber eine, die Spaß macht. Es kommt auf die Chemie zwischen den Jungs an“, erklärt der Schwenninger Stürmer. Für ihn ist es eine Mischung aus natürlicher Chemie und antrainierter. Häufige Umbauten der Formationen wären darum kontraproduktiv, meint er. Für ihn gilt: Jeder soll sich seiner Rolle bewusst sein – gleichzeitig, „willst du erfolgreich sein, muss am Ende jeder in einer Form ein Shooter sein. Und wir haben echt gute Spieler in der Liga.“ Dass die Zunahme der Überzahl-Effektivität allein an dem Aspekt „Starke Spieler“ liegt, glauben Haskins und Spink jedoch beide nicht. Haskins denkt: „Da spielen mehrere Faktoren rein.“
Die Vorbereitung:
Einer der Faktoren: die Vorbereitung. Das Videocoaching etwa hat über die Jahre mehr Raum bekommen, über eine Datenbank sind seit ein paar Jahren alle DEL-Spiele abrufbar, so dass sich die Teams spezifisch auf den kommenden Gegner vorbereiten können. Anhand von Videobildern analysieren die Coaches, wie der Rivale in den Special Teams agiert. „Die Coaches überlegen sich, wie wir die Defensive des Gegners auseinandernehmen können“, sagt Spink. „Wir haben nach dem Pre-Scouting am Tag vor dem Spiel eine ziemlich gute Idee, wie wir vorzugehen haben.“
Und nicht nur der ligainterne Abgleich hilft, meint Haskins: „Eishockey ist ein Copycat-Spiel. Wir alle schauen auch nach Schweden und Russland, was sich die Mannschaften dort einfallen lassen und versuchen, Ideen für uns weiterzuentwickeln. Eine Adaption aus der NHL wäre schwieriger, weil die Eisfläche anders ist.“ Es kommt in der Vorbereitung auf kreative Ideen an – aber auch auf dem Eis. Spink erklärt aus Sicht des Spielers: „Aus meiner Sicht sind 70 Prozent Improvisation und 30 Prozent strategische Vorplanung. Natürlich haben wir Set-Plays, aber es spielt auch ein Gegner mit. Wir müssen entsprechend auf die jeweilige Situation reagieren, um erfolgreich zu sein.“ Also: Die Spieler spielen doch eine extrem große Rolle. Dass verbesserte Athletik der Top-Spieler als Teil der Vorbereitung zusätzlich Körner für die Überzahlwechsel freigeben, hält Haskins aber nicht für valide. Mit 70, 75 Sekunden pro Wechsel seien sie bei den Grizzlys nicht viel länger als bei gleicher Spielerzahl.
Die Regularien:
In den vergangenen Jahren hat es mehrere Regeländerungen gegeben, die der Überzahl-Effektivität geholfen haben dürften. Zur 2014/15 hat die PENNY DEL die Angriffsdrittel um jeweils 1,53 Meter auf Kosten der neutralen Zone vergrößert. „Das kann beigetragen haben, Offensive zu entfachen“, meint Haskins. „Kluge Spieler nutzen jeden zusätzlichen Raum.“ Einen größeren Effekt sieht er aber durch die Bully-Regelung, wonach man sich nach der Strafe in der offensiven Zone auch die Einwurf-Seite (seit 2021/22) aussuchen kann. „Das hat eine bessere Scheibenbesitz-Phase geschaffen und das ist im Powerplay ein wichtiger Faktor.“ Dazu beitragen könnte auch, wenn die PENNY DEL, wie nun in Schweden in der Planung, Icing für das Unterzahlteam einführen würde. Haskins kann die Überlegung verstehen, meint aber: „Ich würde das eher ablehnen. Ich bin Traditionalist – und die Effektivitätsquoten sind ja auch so schon gestiegen.“
Das Aber:
Festzustellen bleibt aber auch: Der Anteil von Powerplay-Toren an den Gesamttreffern ist nicht gesteigen, sogar etwas gesunken. Nicht etwa, weil mehr Tore fielen. Vielmehr liegt es an weniger Gelegenheiten: So kam es 2006/07 bei 364 Hauptrunden-Begegnungen zu sagenhaften 5.586 Überzahlsituationen (15,3 pro Spiel), während es aktuell im Schnitt gerade mal 5,6 Überzahlspiele pro Partie gibt. Ob der Unterschied daran liegt, dass die Spieler sauberer spielen oder ob einfach die Schiedsrichter weniger pfeifen, ist eine interessante Frage und Interpretationssache. Der Trend ist jedenfalls sehr auffällig. Auch Spieler und Trainer haben ihn bemerkt. Spink glaubt: „Vielleicht konzentrieren sich die Teams mehr, Strafen zu vermeiden, weil die starken Powerplays der Gegner bekannt sind.“
2007/08 machten Powerplay-Tore mehr als ein Drittel aller Treffer aus – Rekord. In den meisten Spielzeiten liegt der Anteil ungefähr bei einem Viertel der Gesamttreffer. Aktuell sind es nur etwas mehr als ein Fünftel – der niedrigste Anteil der Geschichte.Das Powerplay per se ist also nicht wichtiger geworden – doch dessen Qualität. Spink sieht darin sogar eine Erklärung des Phänomens der hohen Effekivität: „Wenn du acht Powerplays hast, gehst du vielleicht lässiger rein. Aber meine Mentalität im Powerplay ist wie bei Fünf-gegen-Fünf: Du musst hart arbeiten und die Zweikämpfe gewinnen, um erfolgreich zu sein. Und wenn du weniger Gelegenheiten hast, willst du sicher gehen, dass du sie auch nutzt.“
Haskins meint: „Die Bedeutung ist gesteigert, gerade in dieser Phase der Saison: Da willst du, auch wegen der mentalen Komponente, einen Vorteil aus der Situation schlagen. Es kann am Ende den Ausschlag über Sieg und Niederlage geben.“ Oder wie bei den Schwenningern sogar über die Playoff-Teilnahme. Spink: „Wenn deine Special Teams heiß laufen, steigen deine Chancen.“
Martin Wimösterer, Torsten Weiß