Verteidiger Kai Wissmann (27) erzielte gegen Lettland mit einem sehenswerten Sololauf das zwischenzeitliche 2:0 für Deutschland.
Foto: City-Press
Es wäre einfach gewesen, in Euphorie zu verfallen. Nach dem 8:1 gegen Lettland am Mittwoch, dem höchsten deutschen WM-Erfolg seit 22 Jahren, wollte Kai Wissmann davon aber trotz einer rundum überzeugenden Leistung nichts wissen. „Wir wollen uns vom Ergebnis nicht blenden lassen. So wie wir nach den zwei Niederlagen nicht unser ganzes Selbstvertrauen haben“, sagte der Berliner Verteidiger mit Blick auf die beiden Abreibungen gegen die USA und Schweden, „denken wir jetzt auch nicht, dass wir Weltmeister sind. Wir bleiben in der Mitte.“
Doch selbstredend erkannte auch Wissmann die enormen Fortschritte im deutschen Spiel. „Es fühlt sich gut an, dass wir die Defensive stark verbessert haben. Die Schüsse, die sie hatten, waren größtenteils von außen“, analysierte der 27-Jährige die insgesamt nur 21 lettischen Abschlüsse – der bisherige deutsche „Bestwert“ im Turnierverlauf hatte bei 39 gegnerischen Torschüssen gelegen. „Es war wichtig, gegen eine physisch starke Mannschaft die Zweikämpfe an der Bande zu gewinnen. Aus dieser stabilen defensiven Haltung haben wir uns die Chancen erarbeitet“, erklärte Harold Kreis das Erfolgsrezept.
Der Bundestrainer durfte darüber hinaus beobachten, dass sein Team ebendiese Chancen diesmal deutlich konsequenter nutzte als in den vorangegangenen Matches. Das lag auch am Hunger der DEB-Auswahl vor dem gegnerischen Gehäuse – immer wieder setzte sie entschlossen nach, schnappte sich Rebounds und freie Scheiben und kam so zu einfachen Treffern. „Wenn es ein 50:50-Puck war, haben wir ihn gewonnen“, stellte Stürmer und Torschütze Dominik Kahun fest, während Kreis lobte: „Wir haben grundsätzlich gesagt, dass wir härter um die Scheibe kämpfen müssen – sei es an der Bande, sei es im Aufbau, sei es im Forechecking. Die Jungs haben sich das so zu Herzen genommen, dass sie es auch vor dem gegnerischen Tor gemacht haben.“
🚨A powerplay goal for Kai Wissmann 👏Germany ends the first period up 2-0!#GERLAT#MensWorlds@deb_teams pic.twitter.com/otO3qqX410
— IIHF (@IIHFHockey) May 15, 2024
Hinzu kam das eine oder andere spielerische Highlight – allen voran Wissmanns Sololauf zum zwischenzeitlichen 2:0 (siehe Video oben). „Da hat er mich so ein bisschen an Cale Makar erinnert“, schwärmte Center Nico Sturm, dessen Rückkehr nach einer Knieverletzung und der damit verbundene Umbau der deutschen Angriffsformationen ebenfalls zum Kantersieg beigetragen hatte. „Er gibt uns sehr viel Stabilität auf dem Eis und übernimmt sehr viel Verantwortung“, ordnete JJ Peterka die Bedeutung Sturms für das Gesamtkonstrukt ein. „Du weißt, dass er die richtige Entscheidung trifft, wenn es eine kritische Situation gibt.“
NHL-Angreifer Peterka war nach dem Erfolg über – das gehört auch zur Wahrheit – auf allen Positionen ganz schwache Letten bester Laune, war sein Knoten mit einem Doppelpack doch gerade geplatzt. „Es freut mich, dass JJ getroffen hat, weil ich weiß, dass er sich selbst unter unheimlichen Druck setzt“, sagte Kreis. „Ich würde mir wünschen, dass er sich vielleicht nicht so sehr unter Druck setzt. Heute hat er viel befreiter gespielt. Und wenn es ihm guttut, tut es auch der Mannschaft gut.“
Der 65-Jährige verordnete seinem Team nach dem zweiten Dreier im vierten Turnierspiel einen trainingsfreien Donnerstag. „Regeneration ist ein wichtiger Faktor“, meinte Kreis nach der vierten Partie innerhalb von sechs Tagen. Drei weitere folgen bis zum Ende der Gruppenphase noch gegen drei auf dem Papier unterlegene Kontrahenten – angefangen mit dem Duell gegen Kasachstan am Freitagnachmittag (16.20 Uhr; live bei ProSieben, MagentaSport und Sportdeutschland.TV), es folgen Polen sowie FRankreich. Die Viertelfinalaussichten sind angesichts dieses Restprogramms bestens, „nichtsdestotrotz dürfen wir keinen unterschätzen. Man hat gesehen, wie schnell Überraschungen passieren können“, warnte Peterka mit Blick auf das österreichische Fünf-Tore-Comeback gegen Kanada. Schließlich müssen die fehlenden Punkte für das Weiterkommen erst noch geholt werden. „Wir haben noch drei Spiele, und die wollen wir alle gewinnen. Wir dürfen nicht den Fehler machen und denken, dass wir schon durch sind“, gab Wissmann die Marschroute vor.
Stefan Wasmer